Wertvolle Partner auf vier Hufen

Therapiepferde sind sensible Alleskönner. Als solche stellen sie Ausbildner*innen und Halter*innen vor besondere Aufgaben.

Pferdewohl & -haltung

Hippokrates wusste, was alle Pferdebesitzer*innen wissen: Pferde tun gut. Der berühmteste Arzt der Antike, der circa 450 Jahre vor Christi lebte, beschrieb den Wert der Bewegung auf dem Pferd als heilsamen Impuls für die Gesundheit des Menschen und das Wachsen des Selbstwertgefühles. Doch die Vierbeiner können noch mehr: Sie sind in der Lage, die Lebensqualität von Menschen nach Unfällen, bei angeborenen Behinderungen, Krankheiten oder in schwierigen Lebenssituationen zu verbessern. Wie genau und welche Faktoren dabei heilsam wirken, erforschen inzwischen viele Wissenschafter*innen rund um den Globus. Eine Vielzahl von großartigen Studien belegt heute im Detail, was Hippokrates einst erahnte.

In Österreich liegt z.B. den Therapeut*innen des Lichtblickhofs die wissenschaftliche Annäherung an das Thema „Pferdetherapie“ sehr am Herzen. Das Fachmedium „mensch & pferd international - Zeitschrift für Förderung und Therapie mit dem Pferd“ veröffentlicht regelmäßig relevante Beiträge (verfasst oftmals von Mitgliedern des OKTR®) und natürlich hat das OKTR® selbst Zugriff auf diverse Fachstudien. International finden sich Beispiele von u.a. HETI – The Federation of Horses in Education and Therapy International, IAHAIO - International Association of Human-Animal Interaction Organizations, PATH - Professional Association of Therapeutic Horsemanship International oder HABRI - Human Animal Bond Research Institute.

Aus allen Forschungen geht aber auch sehr klar hervor: Die Wirksamkeit der Pferde darf nicht auf ihre Kosten gehen. „Animal Welfare“ – der klare Blick auf tiergerechte Ausbildung und Haltung – darf nicht zu kurz kommen.

Mensch - Pferd Beziehung

Die Tätigkeit des OKTR® wäre ohne die vierbeinigen Partner nicht möglich, weshalb wir nun den Pferden besondere Aufmerksamkeit widmen. Ihr einzigartiges Wirken und ihre besonderen Fähigkeiten Klient*innen zu begleiten und zu unterstützen tragen wesentlich zum Therapieerfolg bei.

Das Pferd ist ein sensibler Partner des Menschen, der – frei von Vorurteilen, Bewertungen oder Zuschreibungen – direkt, unmittelbar und ehrlich auf das von ihm wahrgenommene Verhalten reagiert. Es spiegelt möglicherweise Verhaltensweisen, Gefühle und Empfindungen wider, die vielleicht weder der Person selbst noch seiner (menschlichen) Umwelt bisher bewusst waren (Vernooji & Schneider, 2013).

Das Pferd in der Therapie

Im breiten Spektrum von tiergestützten Therapien mit Hunden, Katzen, etc. behält das Pferd seine Sonderrolle: durch seine Kraft Menschen zu tragen, seine beeindruckende Größe, die besonders feinen Sinne und seinen ruhigen Herzschlag, hebt es sich von anderen Tieren ab. Auch die Kommunikation von Pferden untereinander ist ausgesprochen sensibel. Seit jeher und besonders seit der Domestikation ist die Geschichte des Pferdes mit jener des Menschen eng verbunden.

Wir Menschen wären vermutlich nicht auf die Idee gekommen, aus freiem Willen auf dem Rücken von Pferden zu sitzen, wenn wir nicht die wohltuende Wirkung für Seele, Kopf und Körper erfahren hätten.

Uta Gräf (2015, zitiert nach Pauel & Urmoneit, 2015, S. 9)

Tief in der Seele jedes Menschen gibt es ein archetypisches Wissen um die Verbundenheit von Menschen und Pferden. Auch im direkten Umgang spürt jeder Mensch, dass Pferde unsere Physiologie beeinflussen. Atmung, Hautwiderstand und Herzfrequenz, Ausdünstungen sowie Geräusche spielen in der Sinneswahrnehmung mindestens eine so große Rolle wie Rhythmus, Gesten und Körpersprache. All das zusammen bietet große Chancen, Pferde in der Therapie einzusetzen – sofern Pferde und Therapeut*innen in einer umfassenden Ausbildung lernen, die Sinne gezielt zu schulen und bewusst einzusetzen.

Was macht ein gutes Therapiepferd aus?

Die sensiblen Partner auf vier Hufen haben große Verantwortung für ihre „Klient*innen“ – sie müssen gefühlvoll, wachsam, zuverlässig und gelassen sein. Dem OKTR® ist es wichtig, dass die Pferde „charakterlich einwandfrei, menschenfreundlich, ausgeglichen, nervenstark und doch sensibel“ sind. Zudem müsse bei der Auswahl des Tieres dessen spezifischer Einsatz beachtet werden. Denn in jeder der vier Sparten (Hippotherapie, Ergotherapie mit Pferd, Heilpädagogische und Therapeutische Förderung mit dem Pferd und Integratives Reiten) gelten ganz andere Voraussetzungen für die „pferdische“ Therapieassistenz. Deren Qualität orientiert sich an der Ausbildung, den Fähigkeiten, Vorlieben und Spezialitäten der/s Therapeut*in und der zukünftigen Klient*innen. Das Wesen des Pferdes ist für die Therapie das wichtigste Kriterium, da Verlässlichkeit für die Sicherheit der Klient:innen wichtiger ist als sportliche Leistung.

Entscheidend ist auch, dass der/die Therapeut*in neben dem Pferd die Klient*innen gut sichern kann. Dafür spielen Körperbau und vor allem die Größe (Stockmaß) eine bedeutsame Rolle. Auch ist das Alter des Pferdes zu beachten. In der Regel startet man frühestens mit einem 6-jährigen Pferd (abhängig von Rasse und Charakter).

Es kommt auf den Typ an, nicht auf die Rasse

Gleich vorweg: Das typische Therapiepferd einer bestimmten Rasse gibt es nicht. In der Therapie wird mit allen Rassen gearbeitet und es ist eine sehr individuelle Entscheidung. Jedenfalls gilt: Je unterschiedlicher die zur Verfügung stehenden Pferde sind, desto breiter ist das therapeutische Spektrum.

Man findet in jeder Rasse geeignete Pferde, die man für die Therapie ausbilden kann. Therapieziele können sehr unterschiedlich sein und sich von Pferdepflege, geführt werden bis zum selbstständigen Reiten erstrecken. Besonders wichtig für die pferdegestützte Therapie ist grundsätzlich ein klarer Viertakt-Schritt; nur dann kann die dreidimensionale Rückenbewegung des Pferdes korrekt an das Becken der/s oben sitzenden Klient:in weitergegeben und ihm/ihr somit ein gangtypisches Bewegungsangebot vermittelt werden.

Die Ausbildung des vierbeinigen Partners

In der Ausbildung müssen der jeweilige Charakter berücksichtigt und die individuell besten Einsatzmöglichkeiten herausgearbeitet werden. Die Dauer der Ausbildung hängt vom jeweiligen Pferdetyp und der Trainingsintensität ab und ist damit sehr individuell. Nach der Grundausbildung steht insbesondere das Erlernen vom Übersetzen der menschlichen Emotionen und Emotionalzustände sowie die artgerechte und individuell gesetzte Reaktion auf das Gespürte, der Umgang mit unterschiedlichsten Bewegungsmustern sowie die Gewöhnung an verschiedene Materialien im Fokus. Stillstehen, problemloses Führen lassen und geringe Schreckhaftigkeit bzw. Gelassenheit – z. B. bei der Arbeit mit Bällen, Reifen, Tüchern oder auch bei eventuell schreienden, wild gestikulierenden Klient:innen – sind wichtige Eigenschaften für ein Therapiepferd. Des Weiteren ist die Gewöhnung an diverse Hilfsmittel wie Aufstiegshilfen (tw. inkl. Hebelift), Rollstuhl u.v.m. notwendig.

Zudem ist erwähnenswert, dass nicht jedes Pferd in der Arbeit mit hilfsbedürftigen Menschen seine Erfüllung findet. Unerlässlich ist es daher, den Einsatz immer wieder für jedes Tier zu überprüfen und seinen Neigungen entsprechend anzupassen, da es sich in seiner Lebensspanne selbst verändern kann.

Auszug aus dem ©Sterntaler

Was passiert nun in der Praxis? (Beispiel Sterntalerhof)

Jeder Neuzugang in der Pferdestaffel des Sterntalerhofs, muss sich erst an die neue Umgebung gewöhnen – an die Stallanlage mit ihren bestehenden Strukturen und Zeitabläufen und an die bestehende Herde. Bis zu drei Monate dauert diese Eingewöhnungsphase, dann erst nimmt das Team seine Ausbildungsarbeit auf. Vertrauensaufbau durch feste Bezugspersonen erleichtert das Training, auch wenn Pferde in der Regel personen-unabhängiger reagieren als etwa Hunde. Jede Therapeutin am Sterntalerhof verbringt eine gewisse Anzahl an Trainingsstunden mit dem Pferd – um es auszubilden und das Vertrauen, die Verbindung zwischen Mensch und Tier nachhaltig zu stärken. Unterschiedliche Therapeutinnen konzentrieren sich dabei auf unterschiedliche Ausbildungsbereiche: Das Voltigieren umfasst eine Longierausbildung in allen drei Gangarten und Voltigierübungen im Sitzen, Knien und Stehen. Die Dressurausbildung fokussiert auf den Aufbau und Erhalt der Muskulatur und trainiert die Kondition der starken Vierbeiner. Während der Materialerfahrung wird das Pferd langsam an neue Materialien gewöhnt, die später in den Fantasiewelten des therapeutischen Reitens zum Einsatz kommen, wie etwa Tücher, Bälle, Wäscheklammern oder gar Regenschirme. Und die Bodenarbeit dient mitunter dem Erlernen der Körpersprache und der nonverbalen Kommunikation zwischen Therapeut:in und Pferd: Bestimmte Bewegungen oder gar Atemtechniken der Therapeutin, die beim Pferd eine spezifische Reaktion hervorrufen.

Erst wenn ein Pferd all diese Ausbildungsbereiche durchlaufen hat, erst wenn es auch in Ausnahmesituationen sicher und verlässlich reagiert – kann es als Therapiepferd am Sterntalerhof eingesetzt werden. Dann jedoch ist es mehr als ein Assistent: Für die Kinder ist es gefühlter Mittelpunkt ihrer Fantasiewelt, Kumpel, Freund und Helfer beim Meistern kleiner und großer Herausforderungen. Für die Therapeutin selbst ist es ein Co-Therapeut, ein Begleiter bei der Förderung von Konzentration und Motorik und ein Partner beim sorgsamen Abtasten von Seelenwelten.

In der Ausbildung und im Arbeitsalltag der Pferde kommen verschiedenste Übungen zum Einsatz.

Bewusste Kommunikation mit dem Pferd

Selbstwirksame Mitsprache

*Der Fachbegriff Selbstwirksamkeit (Bandura 1977) ist für unsere psychische und physische Gesundheit wichtig, auch für die der Pferde. Es spielt eine Rolle, dass ich existiere und mein Verhalten für andere hilfreich oder hinderlich sein kann, aber ebenso, dass ich gehört und in einen Dialog eingebunden werde. Diese Erfahrung zu machen, ist besonders. Im Training von Therapiepferden ist diese Gewissheit, Mitsprache zu haben, zentral für langfristige Belastbarkeit und Sicherheit im Verhalten des Pferdes.

Aktuell erforschen z.B. die Therapeut*innen des Lichtblickhofs die Kommunikation mit den Pferden. Um die Therapiepferde zu unterstützen, das Erlebte, die Emotionen und Herausforderungen gut zu verarbeiten, wurde das Konzept der Schnaubkorrespondenz entwickelt. Mag. Roswitha Zink hatte die Idee bei der Atmung anzusetzen und den Pferden dabei zu helfen ihre Gefühle mitzuteilen und sich damit auszudrücken, was auch als Prävention gesundheitlicher Probleme bei den vierbeinigen Therapeuten dient. Atmung ist für Pferde noch wichtiger als für Menschen. Sie kommunizieren miteinander über ihre Atmung, ihre Sinne sind extrem fein und sie nehmen Dinge wahr, die wir Menschen oftmals nicht bemerken .

So geht’s dem Therapiepferd gut

Regelmäßige Gesundheitskontrollen erhalten die Gesundheit. Tiere, die im sozialen Bereich eingesetzt werden, müssen mit besonderer Sorgfalt tierärztlich überwacht werden. Denn nur ein gesundes und psychisch intaktes Pferd kann gute Arbeit leisten. Überlegenswert sind außerdem gelegentliche, länger dauernde Therapiepausen. Da die Therapiearbeit von Empathie geprägt ist, darf man die Pferde nicht überstrapazieren. Ansonsten könnte es zu einem Totalausfall kommen.

Ein Muss ist die jährliche Zahnkontrolle und die Überprüfung von Sätteln und Gurten auf Passgenauigkeit. Unterlässt man den Besuch beim Sattler kann es zu schmerzhaften Druckstellen am Widerrist, Wirbelsäule oder auf der Schulter kommen.

Eine möglichst pferdegerechte Haltung mit viel Auslauf und Kontakt zu Artgenossen sollte ohnedies sichergestellt sein.

Ein beispielgebend positives Verhalten sollten die Pferdebetreuer:innen, Reitlehrer*innen und Therapeut*innen ihren Klient*innen vorleben. Ein achtsamer Umgang mit Pferden (und mit allen anderen Tieren) außerhalb und innerhalb der (therapeutischen) Arbeit prägt fürs Leben! Sehr oft entwickelt sich daraus eine „Lebensbeziehung“.

Begeisterung und Liebe zu Pferd und Mensch

Therapie mit Pferden ist eine große Verantwortung – wohlüberlegt und professionell ausgeübt eröffnet sie eine große Ressource an Hilfe für die Klient:innen. Menschen, die in diesem Feld arbeiten, sind getragen von der Begeisterung und Liebe zu den Tieren und ihren Klient:innen.

Gemeinsam mit dem Partner Pferd hat der Mensch die Welt zuerst erobert; wer weiß, ob es noch zum Schlüssel zu unserer emotionalen und sozialen Gesundheit in einer zunehmend effizient technischen Welt wird.